Street Art in Chile – die künstlerische Utopie des Landes

Murals, Graffiti, Aufkleber – die Formen der Straßenkunst sind vielfältig. In Chile haben Wandmalereien einen vornehmlich politischen Ursprung. Eine der globalen Metropolen des Street Art der Gegenwart ist Valparaíso. Die Hafenstadt präsentiert wie eine Galerie unter freiem Himmel anspruchsvolle Werke anerkannter Koryphäen der Szene.

Street Art ist wahrlich facettenreich. Da gibt es die klassischen Murals: aufwendige Wandbilder voller Farben, anspruchsvollen Motiven und nicht selten mit einer tiefgehenden Botschaft. Tags wiederum, also die schnellen „Unterschriften“, sind außerhalb der Szene eher verpönt, genauso wie Bombings, schnell gemalte, aufgeblähte Buchstaben und Zahlen. Aufkleber und Stencils, also Schablonengraffiti, gewinnen zunehmend an Beliebtheit. Cut-Outs an Geschäften, Kacheln an Treppen, Knitting an Ampeln, Pichação unter den Dächern… – der Kreativität der Straßenkunst sind keine Grenzen gesetzt. Nicht mal die des Rechts. Denn Street Art ist gemeinhin illegal. Und was davon Kunst ist und was eher Schmiererei, das bewertet der Betrachtende.

In manchen Städten mag Street Art wie ein Trend erscheinen. Doch eigentlich gibt es Wandmalereien seit den Anfängen der Menschheit. Schon im Alten Ägypten verewigte man sich mit gekratzten Schriften an Felsen. Auch aus der Zeit des Römischen Reichs, bei den Maya in Zentralamerika oder den nordischen Wikingern fand man Zeichnungen, die die Lebensthemen der lokalen Bevölkerung zum Ausdruck bringen.

Die Kultur der Wandmalereien in Chile hat einen primär politischen Ursprung. Mitte der 1960er Jahre begann man, im Kontext der Wahlkampagne für den sozialistischen Kandidaten Salvador Allende Wände kreativ und bildgewaltig zu gestalten. Als Vorbild diente der sogenannte Muralismo aus Mexiko. Mit dem Militärputsch 1973 und der Diktatur von Pinochet entwickelte sich die chilenische Wandmalerei mehr und mehr zu einer Clandestino-Protestform im öffentlichen Raum.

Graffiti in Chile wiederum erlebte einen Schub mit der Rückkehr zur Demokratie in den 1990er Jahren und den Einflüssen aus der US-Amerikanischen Hip-Hop-Kultur. Als kreative Ausdrucksform durch das Sprühen von Buchstaben vermittelte es in Chile häufig auch politische Botschaften und vermischte sich mit anderen Stilmitteln des Street Art. Überdies kehrten Chilen*innen aus dem politischen Exil zurück. Im Gepäck hatten sie fremde Ideen und ganz andere künstlerische Einflüsse. Und sie brachten diese Prägungen ein in der Gestaltung ihres chilenischen Lebensraums.

Zur Hochburg des Street Art in Chile, vielleicht gar von ganz Südamerika, mauserte sich Valparaíso. Anfang der 1990er Jahre initiierte eine Stiftung ein Kunstprojekt in Valparaíso unter freiem Himmel: „El museo a cielo abierto“. Auf dem zentralen Stadthügel Bellavista durften angesehene Künster*innen aus Lateinamerika mit Wandbildern ihrer Kreativität freien Lauf lassen. Der Impuls schuf einen Nachklang und in der Stadt entstanden immer mehr Werke der ungezügelten Straßenkunst. Die künstlerischen Betätigungen wurden von den Einwohnerinnen und Einwohnern oft geduldet. Zunehmend erhielten Künster*innen gar Aufträge, Hotels, Cafés oder Bürogebäude zu gestalten. Valparaíso wurde bunt.

Street Art gehört nunmehr zur DNA der Hafenstadt. Riesige Murals schmücken Häuserdächer, Malereien an Treppenstufen spielen mit den Dimensionen, humorvolle Botschaften verzieren Eingangstüren. Fast wie eine Galerie präsentiert Valparaíso stolz die Werke anerkannter Koryphäen der Szene: von Inti, Cekis, Chaquipunk, UnKolorDistinto, Anis, Lalio Mutay, LRM, Marceli Millan…

Valparaíso ist mittlerweile Teil des auserlesenen Kreises der globalen Metropolen des Street Art. Doch man muss sich beeilen. Kein Bild ist für die Ewigkeit. Die Ausstellung lebt.

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